Leipziger „Fahrradgate“: Angeklagte Polizistin bricht ihr Schweigen

Eine Leipziger Polizistin soll jahrelang illegal Fahrräder aus der Asservatenkammer verkauft haben. Im Prozess am Landgericht brach sie am Dienstag ihr Schweigen. Zur möglichen Strafe gegen sie gehen die Meinungen auseinander.

Sie fühlte sich überfordert und allein gelassen: Im Leipziger „Fahrradgate“-Prozess hat die angeklagte Polizistin am Dienstag ihr Schweigen gebrochen. Sie habe selbst kein Geld durch die Abgabe von Fahrrädern aus der von ihr geleiteten Asservatenkammer für sich behalten und sich nicht bereichert, beteuerte Anke S. (47) am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht Leipzig. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft der früheren Mitarbeiterin der Zentralen Bearbeitung Fahrradkriminalität (ZentraB) in der Polizeidirektion Leipzig Bestechlichkeit, Diebstahl, Verwahrungsbruch und Urkundenfälschung vor. Jahrelang habe sie illegal Fahrräder verkauft, die nach Diebstählen eingelagert waren.

Der Skandal um mutmaßlich kriminelle Machenschaften bei der Leipziger Polizei hatte gigantische Ermittlungen nach sich gezogen. Mehr als 200 Verdächtige standen zeitweise im Fokus – ZentraB-Beamte, Vorgesetzte, Käufer aus Polizei und Justiz. Anke S. soll inmitten dieser Korruptionsaffäre die Schlüsselfigur gewesen sein.

Lager mit sichergestellten Rädern überfüllt

Vom 18. August 2014 bis zum 26. November 2018 habe sie in 155 Fällen mindestens 265 in amtlicher Verwahrung befindliche Fahrräder selbst genutzt oder an Dritte weitergegeben, so die Anklagebehörde. Zur Verschleierung seien die Verkäufe als Überlassung an gemeinnützige Vereine dokumentiert worden. Mindestens 4 795 Euro nahm Anke S. nach Erkenntnissen der Generalstaatsanwaltschaft damit ein.

Im Gegensatz dazu zeichnete Verteidiger Thomas Morguet vor Gericht das Bild einer gestressten Frau, die sich in einer Welt aus überfüllten Lagerhallen, Excel-Tabellen und Asservatenbegleitscheinen verlor. Ohne jegliche Leitungserfahrung und Einweisung sei die Angeklagte zur Chefin der ZentraB-Asservatenkammer geworden. Die Lager seien rasch überfüllt gewesen. Monatlich sei der Bestand um 300 bis 400 Fahrräder angewachsen, so Anke S. Vorgesetzte hätten daher auf eine Reduzierung gedrängt. Doch in den meisten Fällen hätten weder die bestohlenen Besitzer noch Versicherungen Interesse an den sichergestellten Rädern gehabt. Anfangs seien diese zu Schrottplätzen gefahren worden, später in Containern auf dem Dienstgelände entsorgt worden.

Für Leipziger Polizistin geht es auch um berufliche Existenz

Sie sei davon ausgegangen, berechtigt gewesen zu sein, solche Fahrräder für Spenden an gemeinnützige Vereine abzugeben, sagte die suspendierte Polizeihauptmeisterin. Diese Praxis sei mit Vorgesetzten abgestimmt gewesen. Alle Übergaben habe sie protokolliert. Spendengelder flossen an einen Gartenverein im Landkreis Leipzig, dessen Vorsitzender der Vater von Anke S. war. Sie wisse aber nicht, wofür dieses Geld verwendet wurde. Persönliche Vorteile habe sie nie im Sinn gehabt. Ihr sei es darum gegangen, die Arbeitsfähigkeit der ZentraB zu erhalten.

In dem bis Mitte Juni geplanten Prozess geht es für die Polizistin auch um ihre berufliche Existenz. Die Generalstaatsanwaltschaft strebt in dem Verfahren eine Freiheitsstrafe an. Sollte diese mindestens ein Jahr betragen, müsste das Dienstverhältnis per Gesetz beendet werden. Die 8. Strafkammer stellte der Angeklagten hingegen eine Geldstrafe in Aussicht, wenn sie umfassend gesteht. Bei einem solchen Ausgang des Strafverfahrens würde verwaltungsrechtlich über das Dienstverhältnis entschieden werden.

An den nächsten Verhandlungstagen will das Gericht Zeugen aus dem begünstigten Gartenverein sowie leitende Beamte der Polizeidirektion im Zeugenstand befragen. Unklar ist noch, ob auch die Erwerber jedes einzelnen Fahrrades nach all den Jahren vor Gericht erscheinen müssen.


MDR 26.03.2024

Landgericht Leipzig Prozess zum „Fahrradgate“: Angeklagte Polizistin weist Vorwürfe zurück

Im Prozess um den illegalen Weiterverkauf von sichergestellten Rädern bei der Polizei Leipzig hat die angeklagte Polizistin die Vorwürfe am Dienstag zurückgewiesen. Die 47 Jahre alte Frau ließ am Dienstag vor dem Landgericht durch ihren Verteidiger mitteilen, kein Geld für sich behalten oder sich persönlich bereichert zu haben.

Beschlagnahmte Räder weitergegeben

Die Generalstaatsanwaltschaft wirft der Frau vor, zwischen August 2014 und November 2018 mindestens 265 zum Teil hochwertige Fahrräder weitergegeben zu haben, die meisten davon an andere Polizisten. Sie soll laut Anklage dafür meist eine „Spende“ von bis zu 50 Euro bekommen haben. Die suspendierte Polizeihauptmeisterin muss sich deshalb als damalige Verantwortliche in der Asservatenkammer wegen Diebstahls, Bestechlichkeit und Urkundenfälschung verantworten.

Spenden an Verein abgeführt?

Die betreffenden Fahrräder waren überwiegend gestohlen und später von der Polizei sichergestellt worden. Da die ursprünglichen Besitzer und die Versicherungen kein Interesse mehr an den Rädern gehabt hätten, sollten diese entweder entsorgt oder an einen gemeinnützigen Verein übergeben werden. Sie habe alle Übergaben der Fahrräder protokolliert und die Spenden, die sie erhalten habe, an einen gemeinnützigen Verein abgeführt, hieß es in der Einlassung der Angeklagten weiter. Dieses Vorgehen sei auch mit den Vorgesetzten abgesprochen gewesen.

Die Spenden hatte ein kleiner Gartenverein im Landkreis Leipzig erhalten, deren Vorsitzender ihr Vater war. Was dort mit den Geldern geschehen sei, wisse sie nicht, betonte die 47-Jährige auf direkte Nachfrage des Gerichts.

Geldstrafe oder Gefängnis

Das Gericht hatte im Zuge einer Verständigung zwischen Verteidigung und Generalstaatsanwaltschaft eine Geldstrafe für die Angeklagte in Aussicht gestellt. Die Bedingung dafür sei eine umfassende Aussage zu den Vorwürfen, hieß es. Die Generalstaatsanwaltschaft beabsichtigte dagegen, an den ursprünglichen Anklagepunkten festzuhalten. Sie verlangt weiter eine Freiheitsstrafe. Der Prozess soll am 9. April fortgesetzt werden.